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Bürgerbeteiligung aus der Quartiersperspektive: Beispiel Ackermannbogen

Nachbarschaftstreffs unterstützen Bürgerengagement im Wohnumfeld und könnten Zugang zu bislang kaum erreichten Zielgruppen vermitteln

In den derzeit 38 Münchner Nachbarschaftstreffs wird Bürgerbeteiligung nicht als unverzichtbares Element größerer Bau- oder Verkehrsvorhaben praktiziert, sondern im Sinne von Teilhabe und Bürgerengagement im Wohnumfeld. Anders als bei großen Planungsvorhaben, werden mit diesem Ansatz quartiersbezogener Bürgerbeteiligung auch benachteiligte Bevölkerungsgruppen erreicht. Könnten davon auch klassische Bürgerbeteiligungsverfahren profitieren?

Quartierbezogene Bewohnerarbeit: Beispiel NachbarschaftsBörse Ackermannbogen

Mit Bezug der ersten Häuser im Neubaugebiet Ackermannbogen ging 2005 auch die NachbarschaftsBörse in Betrieb. Gefördert von Sozialreferat der Stadt München arbeitet die NachbarschaftsBörse – ebenso wie derzeit 38 weitere Nachbarschaftstreffs im ganzen Stadtgebiet – nach dem Konzept der Quartierbezogenen Bewohnerarbeit, d.h.

  • Sicherung bzw. Stärkung der Teilhabe aller, v.a. aber sozial benachteiligter Nachbarinnen und Nachbarn
  • bedarfsorientierte und intermediäre Quartiersarbeit, d.h. wir greifen Themen auf, um die sich sonst keiner kümmert
  • Hilfe beim Aufbau komplementärer Strukturen (Spielgruppen, Hausaufgabenhilfe, nachbarschaftliche Assistenz- und Unterstützungsnetze)
  • Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements im Wohnumfeld, Quartier und Stadtteil

Am Ackermannbogen wird dies umgesetzt durch

  • Unterstützung bei der Selbstorganisation von Gruppen/Einzelpersonen, die sich für Quartiers- und Nachbarschaftsbelange einsetzen
  • spezifische Angebote für Zielgruppen mit höherem Unterstützungs- und Vernetzungsbedarf, z.B. in Form von Hausaufgabenhilfe für Kinder mit Migrationshintergrund, Interkultureller Frauenabend, Selbsthilfe-Treffen für Migrantinnen
  • breit gefächerte Mitmach- und Mitgestaltungsangebote, für alle Alters-, Einkommens- und Interessensgruppen, v.a. in den Bereichen Gesundheit, Freizeit, Bildung und Betreuung
  • niedrigschwellige Angebote im öffentlichen Raum, z.B. Flohmarkt, KinderMärkte, AktivFerien, BücherTauschBörse, PublicPicnic
  • Gartenprojekt StadtAcker, ausschließlich mit Gemeinschaftsbeeten zur Stärkung von Integration und Inklusion

Vom Eigennutz zum Gemeinwohl

Der Name NachbarschaftsBörse ist Anspruch und Programm zugleich. Mit ihren inzwischen drei Standorten für 6.300 Nachbarinnen und Nachbarn, ist „die Börse“ die zentrale Anlaufstelle im Quartier für alle Fragen rund um Nachbarschaft und Wohnen. Leitmotiv aller Unterstützungsangebote ist immer der Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“, sprich die Stärkung von Selbstorganisationskräften und Eigenengagement im und für’s Wohnumfeld.

Dazu ein Beispiel aus dem Treff-Alltag am Ackermannbogen: Eine Muslima fragt im Quartiersbüro nach, ob es möglich wäre, ein regelmäßiges Treffen für migrantische Nachbarinnen im Quartier zu organisieren. Dank vorhandener Gemeinschaftsräume und Netzwerke der Treffleitung zu anderen Frauen mit Migrationsgeschichte ist so ein Angebot rasch etabliert. Die Themen bei den komplett ehrenamtlich organisierten Treffen reichen von Erziehungs- über Beziehungsthemen bis hin zu Tipps für Stellen- und Qualifizierungsangebote. Positiver Nebeneffekt: Eine Stärkung des nachbarschaftlichen Miteinanders und der gegenseitigen Unterstützung im Alltag – im Bedarfsfall reicht eine whats-app-Nachricht in die Runde. Viele Teilnehmerinnen dieses Kreises erfahren hier erstmalig den Mehrwert von Engagement, das über unmittelbares Eigeninteresse hinausreicht und bringen gerne ihre Kompetenzen ein. Beim letzten Treffen erfuhren die Frauen von einer benachbarten Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Spontan entschieden sie, diese zum Kochen/Essen einzuladen. Ein Beispiel von „give back“, Engagement bei einem aktuellen Thema.

In jedem Nachbarschaftstreff in München gibt es Dutzender solcher Beispiele von gelungener Beteiligung im Quartierskontext – ein mit Blick auf breiter angelegte Bürgerbeteiligungsthemen bislang kaum genutzter Erfahrungsschatz.

Handlungsbefähigung im Kleinen als Grundlage für Bürgerbeteiligung im Großen

Der Empowerment-Ansatz der Münchner Nachbarschaftstreffs ermöglicht benachteiligten Menschen im Quartier die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Sie merken, dass es sich lohnt, sich für eigene Belange einzusetzen und die Vernetzung mit Gleichgesinnten eine große Bereicherung für die eigene Lebensqualität und Wohnzufriedenheit bringt. Sehr oft handelt es sich dabei um Themen, die nicht nur Einzelnen einen Mehrwert bringen, sondern grundlegende Gemeinwohl-Aspekte beinhalten. Die so gestärkte Handlungsbefähigung ist eine notwendige Grundlage für den nächsten Schritt: Beteiligung über persönliche oder wohnumfeldbezogene Anliegen hinaus. Außer einer Anpassung der oft ziemlich akademischen Formate von Bürgerbeteiligungsprozessen, braucht es ein „Runterbrechen“ der großen Themen auf alltagsrelevante Zusammenhänge und die kontinuierliche und professionell unterstützte Stärkung von „Wollen“ und „Können“ auf Seiten benachteiligter Gruppen. Letzteres könnte der Beitrag der Münchner Nachbarschaftstreff zu einer selbstverständlicher praktizierten und breiter verankerten Kultur der Bürgerbeteiligung bei bislang kaum erreichten Zielgruppen sein.

Nachbarschaftstreffs als Akteure quartierbezogener Bürgerbeteiligung

  • Nachbarschaftstreffs bieten niedrigschwelligen und professionell unterstützen Zugang zum Thema Bürgerbeteiligung im Quartierskontext.
  • Multifunktionale Gemeinschaftsräume im Quartier sind die strukturelle Basis für nachbarschaftliche Aktivitäten, Begegnung und Vernetzung und damit auch Basis für Teilhabe und Beteiligung.
  • Nachbarschaftstreffs ermöglichen vielfältige Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, was wiederum die Bereitschaft zu Beteiligung und Engagement für’s Gemeinwohl erhöht.
  • Nachbarschaftstreffs sorgen für eine Balance zwischen Eigennutz und Gemeinsinn: wer bei eigenen Anliegen unterstützt wird, ist auch eher bereit sich für Quartiersbelange zu engagieren.
  • Nachbarschaftstreffs erhöhen durch ihre quartierbezogenen Angebote die Identifikation mit dem Wohnumfeld und damit auch das Interesse für Quartiers- und Stadtteilthemen.
  • Nachbarschaftstreffs identifizieren und „pflegen“ lokale Multiplikatoren, die Zugang zu ansonsten nur schwer erreichen Zielgruppen finden (Migranten, Kinder/Jugendliche, Menschen mit Beeinträchtigungen, bildungsferne Gruppen)
  • Nachbarschaftstreffs bespielen öffentliche Räume durch niedrigschwellige Mitmach-Angebote und bieten damit auch jenen eine Bühne, die sich sonst nicht beteiligen.

Schlussgedanken

Das Beispiel Ackermannbogen zeigt: Bürgerbeteiligung auf Quartiersebene funktioniert und wirkt positiv auf die Entwicklung der Quartiere. Sie ist außerdem auch ein Lernfeld: Bürgerinnen und Bürger aller sozialen Schichten erfahren hier entlang ihrer eigenen Themen den Mehrwert, die Methoden und Potenziale, aber auch die Grenzen von Mitgestaltung und Beteiligung.

Die Münchner Nachbarschaftstreff agieren an der Schnittstelle zwischen lokalen, lebensweltbezogenen Einzelanliegen und der – angesichtes einer immer disparater werdenden Stadtgesellschaft – notwendigen Stärkung von Gemeinsinn und Gemeinwohl. Diese Schnittstelle gilt es zu stärken. Dazu braucht es eine entsprechende konzeptionelle Weiterentwicklung und langfristig gesicherte Ressourcenausstattung der Quartierbezogenen Bewohnerarbeit. Denn: Quartiere und Nachbarschaften sind für wichtige zivilgesellschaftliche Themen wie Bürgerbeteiligung, Inklusion und zeitgemäße Versorgungskonzepte die passende Zugangs- und Umsetzungsebene.

Heidrun Eberle
Sozial-Geographin, Moderatorin
Gesamtleitung NachbarschaftsBörse am Ackermannbogen
Geschäftsführung Ackermannbogen e.V.www.alt.ackermannbogen-ev.de
freie Mitarbeiterin beim Institut SIM Sozialplanung und Quartiersentwicklung
www.sim-sozialplanung.de

Dieser Artikel erschien zuerst im online-Magazin Standpunkte des Münchner Forums