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Interview mit Hanna Stützle

Kartoffeln und Kasernen

Damals am Oberwiesenfeld …

Den „Kältepunkt Münchens“ nannte ihre Mutter als Kind das Oberwiesenfeld. Weil alles ganz frei war und keine Häuser Wärme spendeten. Daran erinnert sich die 79-jährige Hanna Stützle, die ihr ganzes Leben in Schwabing-West verbrachte. Die Seniorin nahm sich für den Ackermannboten ein Stündchen Zeit, um aus alten Zeitenzu plaudern. Man hätte ihr den ganzen Tag zuhören wollen!

„Als ich klein war, in den 30er Jahren, wohnte meine Familie in der Schleißheimerstraße“, erzählt Hanna Stützle. „Damals war das Gebiet hier voller Kasernen, dahinter zog sich eine riesige Wiese bis weit draußen. Das Oberwiesenfeld war ein richtiges Naherholungsgebiet.“ Seit Ende des 19. Jahrhunderts war Militär ansässig. Doch hinter der Leopold- und der Saarstraßenkaserne bot das freie Feld ein wahres Spielparadies für Kinder. Stützle und ihre Altersgenossen rodelten auf einem Hügel, den die Soldaten an der Winzererstraße aufgeschüttet hatten und ernteten Kartoffelreste von einem Acker an der heutigen Ackermannstraße. Oder kamen mit ihren Familien zum Sonntagsausflug und machten Fotos zwischen Bäumen und Blumen.
„Von unserer Wohnung aus konnte ich einmal sogar sehen, wie ein Zeppelin auf dem Flughafen draußen landete“, erinnert sich Stützle.

Im Zweiten Weltkrieg war die Nachbarschaft zum Oberwiesenfeld für die junge Hanna und ihre Familie freilich nicht mehr so angenehm. „Die Gegend war oft Ziel von Bombenangriffen, wegen der Militäranlagen“, sagt sie. „Das Oberwiesenfeld verteidigte damals ja den ganzen Münchner Norden. Ich weiß noch, wie wir immer die feindlichen Flieger beobachteten, wie sie ihre Rauchmarken über den Flakfeldern setzten. Gab es Wind, bangten wir, dass die Marken über unsere Wohnhäuser trieben und wir mit ins Zielgebiet rutschten!“
Für den Blockwart suchten die Jugendlichen damals auch die Gegend nach Bomben ab oder deckten Dächer – die Männer, deren Aufgabe das gewesen wäre, waren ja im Krieg. „Es war oft hoch gefährlich“, sagt Stützle. „Unsere Mutter hat die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, aber wir haben das damals als normal hingenommen.“

In der Nachkriegszeit fuhren monatelang die Schutt-Loren über das Oberwiesenfeld. Es entstand der berühmte Schuttberg, der später zum Olympiaberg umgetauft wurde. Hanna Stützle, ihre kleineren Schwestern und ihre Mutter suchten das Areal nach allem ab, was verwertbar war, vor allem nach Holz und Kohlen zum Heizen. Ein dickerer Balken war damals der Hauptgewinn des Tages. Vor allem aber durchsuchten hungrige Menschen aus der ganzen Stadt die Schützengräben und einige größere Gruben, die die Nazis auf dem Feld für einen geplanten Güterbahnhof ausgehoben hatten. „In diese Gruben warfen die amerikanischen Soldaten nämlich ihre Lebensmittelreste. Manchmal fand man dort zwischen fauligen Kartoffeln gute Exemplare, die man nur waschen musste. Einmal haben wir sogar einen Sack ungerösteter Kaffeebohnen gefunden. Es hat gedauert, bis wir begriffen, was das für rote Kügelchen waren.“

Hanna Stützle wuchs heran, heiratete und zog mit ihrem Mann, dem künftigen CSU-Sozialreferenten Hans Stützle, erst in die Hiltensperger-, dann in die Böttingerstraße. Sie sah, wie noch mehr Kasernen wuchsen, wie der Oberwiesenfeld-Flughafen an Bedeutung verlor, aber auch wie schon in den späten 40ern, 50ern und 60ern immer wieder neue Firmen auf dem Gelände ansässig wurden, etwa die Molkerei Deller. An der Seite ihres politisch engagierten Mannes verfolgte Hanna Stützle dann über viele Jahre hautnah, wie aus dem Oberwiesenfeld ein Wohngebiet für junge Familien wurde. Den Abriss der alten Gebäude sah sie ohne Wehmut. Als junges Paar hatten die Stützles schließlich selbst um jeden Quadratmeter Wohnraum für sich und ihre drei Kinder gekämpft. „Dass Wohnungen gebraucht werden, war immer unsere Meinung“, sagt sie.

Und wie gefällt ihr der Ackermannbogen nun, da er fast fertig gebaut ist? „Leider sind die Wohnungen doch sehr teuer geworden“, meint sie. „Und es sieht alles sehr zweckmäßig und etwas fantasielos aus. Aber wenn in einigen Jahren die Bäume groß geworden sind, wird es schon lebensfroher werden.“ Ihr Neffe wohnt mit seiner Familie am Gustav-Landauer-Bogen. Der Weg führt Hanna Stützle also auch heute noch regelmäßig auf das Oberwiesenfeld.

Isabel Winklbauer

Dieser Artikel erschien zuerst im Ackermannboten, Ausgabe 14, April 2010 in der Rubrik VORGESTELLT